Vorige Woche saß ich mit meiner unerwiderten Jugendliebe Elli in einem eleganten Innenstadtcafe bei einem Melange mit Kandisin. Früher genoß ich hier stets Buchteln und'n Bier, aber die Zeiten ändern sich eben.

Das kleine Salonorchester spielte dezent einen Tango hinter den von Palmen umsäumten Marmorsäulen, der Kellner im Smoking schwitzte sich trotz Klimaanlage gerade einen BH, da sah mich Elli fragend an: „ Sag mal, du siehst heute so anders aus.“

Ich hörte auf, den Kandisin bei seiner Auflösung zu beobachten und blickte Elli an: „ Wie meinst du? Immerhin haben wir uns im Dezember des Vorjahres zum letzten Mal gesehen. Ich bin älter geworden.“
Sie nippte an ihrem Melange ohne mich aus den Augen zu lassen: „ Nun, ich meine nicht das Alter. Hast du abgenommen?“
„Ja. Ein wenig an den Schultern.“
Sie winkte ab: „ Ach komm. Sei nicht albern. Doch, doch, du hast abgespeckt, das seh ich doch. Wieviel denn, wenn ich fragen darf?“
Ich richtete mir die Krawatte und strich den Revers meines Leinensakkos glatt: „ Ähem… Seit Februar, also in sechs Monaten, über vierzig Kilo.“
Ellis Augen wurden groß, sie zupfte sich ihren weißen Seidenschal über dem beigen Sommerensemble zurecht: „ So viel, ach du liebes Bißchen. Wie hast du denn das geschafft?“
„Mit einem Sadi s.“
„Äh - wie belieben?“
„Mit einem Sadi s. SADI-S.“
„Ach du meine Güte. Wenn ich gewusst hätte, dass man mit solchen Ferkelein so viel abnehmen kann, wäre ich mal über meinen prüden Schatten gesprungen. Ich meine, unter uns, gereizt hat mich die Szene ja eh immer. Nur, naja, du kennst meinen Ehemann. Alles was über die Missionarsstellung hinaus geht macht ihm Angst und er rennt zu seinen Orchideen, die er so liebt weil sie nicht immer gleich Geld borgen wollen und …“
„ Was? Wovon redest du? Sadi s ist keine Sexpraktik sondern…“
„Nun, du weißt, mein lieber Isac, ich habe stets gedacht du seist so ne Art liebenswerter Pudding auf zwei Beinen. Aber nun sieh dich an. Gut siehst du aus. Und in der Sadi-szene bist du auch. Rrrrrrrhhhmmmhh.“
„ Was?! Nein! Typisch Rothaarige. Nein, nein Elli. Bitte verzeih, aber das hat nichts mit SM zu tun. SADI-S ist eine bariatrische Operation. Beim SADI-S (Single Anastomosis Duodeno-Ileale Bypass mit Sleeve) wird eine Verbindung zwischen dem Sleeve und dem Dünndarm nach dem Magenschließmuskel (Pylorus) angelegt. Durch die drastische Verkleinerung des Magenvolumens und durch eine Umgehung des ersten Dünndarmabschnittes wird sowohl die Essmenge an sich, als auch die Aufnahme der Nahrung aus dem Darm reduziert. Es kommt auch zu hormonellen Veränderungen die zu einer Reduktion des Hungergefühls und zu einer Verbesserung eines eventuell bestehenden Diabetes führen.“
Ellis grüne Agen waren starr auf mich gerichtet.

Nach einer Weile sagte sie: „ Ich habe nichts von dem was du gesagt hast verstanden.“


„Hm, einfacher erklärt - Der Hals wurde direkt mit dem Arsch verbunden. Dabei kam der Großteil vom Magen raus, ein paar Meter Darm mußten dran glauben und weil’s eh schon wurscht war, auch die Galle – zumindest bei mir.“

"Die Galle? Mit Leber, oder wie?"

"Nein, nur die Gallenblase. Sie war derart voller Steine und rot entzunden, dass ich sie dem Planetarium gestiftet habe. Sie machte zwar ettliche Fluchtversuche aus dem Reagenzglas, aber scheiterte an der Betätigung einer Türschnalle.Gallenblasen sind nicht besonders klug."

 

Ellis schneeweiße Gesichtshaut verfärbte sich passend zu ihrer Haarfarbe: „ Oh. Das ist mir aber jetzt wirklich unangenehm. Das tut mir ja sooo leid. Nun ja. Wie auch immer. Und sonst geht’s dir gut, ja?“
„Nein.“
Sie blinzelte verwirrt: „ Aber du siehst aus wie das blühende Leben. Was fehlt dir denn?“
„Ich fühle mich schlapp. So schlapp als würde ich ne Grippe ausbrüten und 37,5 Grad Temperatur haben. Das ist Dauerzustand. Ich habe in der Nacht Reflux obwohl ich mich an alle SADI-S Spielregeln halte, habe Haarausfall weil ich zu wenig Eiweiß schlucke, habe deshalb auch Muskelschmerzen, oft Magenweh und Übelkeit, leide unter Entzug da ich auch kein Fleisch und keinen Fisch mehr esse, keinen Alkohol mehr trinke, zum Rauchen aufgehört habe, auf die täglichen acht Antidepressiva verzichte und im Moment geht auf der Waage gar nix mehr, trotz Fitnessstudio.“
„Hm. Wieviel willst du denn noch abnehmen?“
„Noch fünfundzwanzig Kilo, also fünfundsechzig insgesamt.“
„Aber dann bist du doch nur noch Haut und Knochen!“
„Ach was. Sogar dann hab ich noch laut BMI Übergewicht. Aber ich will mir keine zu hohen Ziele setzen und es nicht übertreiben. Da ich schon ein fetter Säugling war, sind meine Knochen und Muskeln eben dem Gewicht angepasst. Das ist, als wäre ich auf dem Jupiter geboren und nun auf der Erde gelandet. Wie du weißt sah ich ja schon als Kind wie ein misslungenes Schweinegenexperiment aus. Das Übergewicht war stets mein treuer Begleiter. Seit ich mich zurückerinnern kann bin ich auf Diät. Es gibt nichts, absolut nichts, was ich nicht versucht hätte um schlank zu werden. Alles Sinnlos. Daher beschloss ich mich operieren zu lassen.“
„Oh. Du hast dich operieren lassen? Wo denn?“
„Wa…was? Elli? Davon rede ich doch die ganze Zeit.“
„Ach so. Ich dachte du meinst was wäre wenn…“
„Nein Elli – ich meinte, ich war so dick, dass ich sogar sozial völlig isoliert war.“
„Wußte gar nicht dass du Sozialist bist. Kennst du Lenin?“
„Ja.“
„Ha! Ich hab‘s gewußt!“
„Aber jeder kennt doch Lenin!“
„Mein Mann kennt ihn nicht. Er hört Lennon.“
„Was hat denn das jetzt mit…“

"I'm the Walross."

"Waaas?!"

 "Das sagte Lenin."

"So ein Blödsinn. Das hat Lenin niemals gesagt. er sagte Dinge wie ... -Demokratie ist die Vorstufe zum Sozialismus  -oder - DEr Kapitalismus hat die ganze Welt..."

"Papperlapapp!"

"Wa...Was...? Elli? Ich versuche dir meine Operation zu erklär..."
„Ach Isac, weißt du noch als ich mich zwischen dir, einem arbeitslosen Schwabbelmonster, der mein bester Freund war und meinem jetzigen Mann, einen smarten Porschefahrer der wie ein Filmstar aussah und mein Liebhaber war, entscheiden musste?“


SCHNITT!

STOP!

AUS!

Szenenwechsel!

Also noch mal von vorne: Mein Name ist Isac und ich wurde im Februar 2021 SADI-S im Allgemeinen Krankenhaus Wien operiert. Übergewichtig war ich schon als Kind, also mein ganzes Leben lang. Im Moment entdecke ich die Welt neu – besser gesagt, erlebe zum ersten Mal wie das ist, nicht verächtlich angesehen zu werden wenn ich etwas zu Essen bestelle. Selbstverständlich macht diese Veränderung auch psychisch einiges mit mir.
Ich kann mir Kleidung kaufen die mir gefällt und muss nicht mehr in Juttesäcken mit nur 70% Asbestanteil rumlaufen! Ich kann im Schwimmbad aus dem Pool steigen ohne dass Greenpeace mich mit nassen Handtüchern bedecken und zurück ins Wasser zerren will!
Seit neuesten wird mir meine Haut zu groß. Wenn das so weitergeht werde ich bald mit dem Shar Pei (Chinesischer Faltenhund) von Frau Knozek, unserer Hausmeisterin, verwechselt. Aber egal. Hauptsache schlank!
Klar, die OP mit ihren Folgen war/ist der Hammer. Dennoch - trotz aller oben genannten Unzulänglichkeiten bereue ich diesen Schritt nicht. Ich habe mich viele, viele Jahre auf solch eine OP vorbereitet. Nichts kam oder kommt überraschend.

Ich bin bewusst den Pakt mit dem Teufel eingegangen – ich bekomme was ich mir schon immer am sehnlichsten gewünscht habe – Normalgewicht – aber ich muss einen hohen Preis dafür zahlen.
Mußte ich bereits zahlen.

Ich gebe gerne meine Erkenntnisse weiter. Also sollte jemand Fragen haben – immer raus damit.